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Hier finden Sie eine kurze
Leseprobe von
Der letzte Blick
(Erzählungen 2019)
(ISBN 978-3-939939-08-5)

Buchgestaltung und Fotoessay
von Volker Blumenthaler



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Hörprobe


Text:

aus Von Sternen und Dalmatinern

Pasqua liebte Musik, die wie Unkraut daherkam, nicht
nach gepflegten Blumenrabatten klang, die dem interpretatorischen Mainstream gehorch-
ten und musikalisch nichts
riskierten. Musikalischer Jet Set, tot, vom Bei-
fall der Laien
belohnt. Die Hörer klatschten, weil es ihnen die Kritik
gebot. Da gefiel ihm Friedrich besser, der zwar von Musik nichts verstand,
aber mitbrachte, was einen aufmerksamen Hörer auch ausmachte:
tiefes Empfinden und große Unmittelbarkeit.
Um etwas beneidete er Friedrich: Tief empfinden konnte Pasqua auch,
an Unmittelbarkeit mangelte es ihm ebenfalls nicht.An der Bereit-
schaft jedoch, seinen Gefühlen
Ausdruck zu verleihen, indem er heulte,
jaulte, ja am Ende
vielleicht sogar noch bellte.
Doch wie verhielt es sich mit der Stille? Dieser Abwesenheit von Ge-
räusch. Der klösterlichen Stille eines Kreuzgangs, ohne gregorianische
Gesänge, ohne Friedrich?
Würde er dies ertragen?
Er hörte klassische Musik oft in Konzertmitschnitten. Da gab es Stille
auf dem Podium nur als kurze Generalpause oder zwischen den
Sätzen.
Doch unten, im Parkett, hüstelte und schniefte es dann, n
utzten die
Hörer diesen Moment, um selbst einzusetzen,
nach ihren Regeln, ihrem
Verständnis und der ganz persön
lichen Not ihrer Lungen und Schleim-
häute.
Er sehnte sich nach der Stille, und sie würde kommen, hätte er
erst seine einhundert Stücke beisammen, weil
seine Arbeit dann getan
war.

Die Stille wäre ein Beleg, dass er es geschafft hatte. Er konnte sie sich
leisten, weil er entschieden hatte, was zu seinem Kanon gehörte und
was nicht. Er hätte sie sich somit verdient.
Absichtslos, einem Nichtstun hingegeben, selbst dem Moment seines
Todes. Als Abwesenheit von Geräusch, der Körperlichkeit, seines Atems,
seiner Schritte, eines sich Schnäuzens, wenn er am Ende vielleicht doch
noch eine Träne vergoss.
Die Stille des Lebens, verbunden mit der des Todes, dieser übergangslo-
se Moment, durch kein Geräusch mehr belas
tet, keine Absicht, kein
Spekulieren, kein Wollen, nur verbunden mit der Hingabe an seinen
Tod, es wäre sein
Höhepunkt, und er verstand nun die Menschen des
Barock,
die den Tod als Lebenshöhepunkt ansahen.
So wartete er ergeben auf die Stille zweier Zustände, die er nicht nach-
haltig erfahren konnte, da es ihn dann nicht mehr gab.
Der Moment der Vereinigung von Leben und Tod als Prädikat der Stille,
als ein Premiumprodukt sozusagen geriete ihm zu kurz.
Da er den Moment nicht hinreichend „hörgerecht“ erfahren und verar-
beiten konnte.

„Das ist Betrug“, sagte er und stellte die Musik lauter.
Was ihm die „Winterreise“ schenkte, entzog ihm der Moment seines
Todes: Die Geborgenheit im menschlichen Leid.
Der Leierkastenmann Schuberts drehte immerhin noch die Leier.
Der Übergang von Leben und Tod aber, als Erfahrung der Stille, entzog
sich ihm durch die Kürze des Augenblicks. Am Ende gar noch durch
fehlende Konzentration, weil ein Geräusch störte oder ihn ein Wind-
hauch berührte, vielleicht der des Wanderers, der raschen Schrittes
an ihm vorbeiging und dem er nur folgen musste.
Er wünschte sich diesen Moment bloß für einige wenige Takte.
„Man erlebt nicht mal seinen Tod in Ruhe“, dachte Pasqua und drehte
die Musik noch ein wenig lauter.




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