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Hier finden Sie eine kurze
Leseprobe von
Das Champagnerreich
(Erzählung 2021)
(ISBN
978-3-941072-25-1)

Buchgestaltung und Fotoessay
von Volker Blumenthaler



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Hörprobe


Text:

aus Allein

Allein waren meine Eltern auch da, wo sie wohnten.
Über ihnen Nazis, darunter ebenso.
Der Hausmeister, ein willfähriger Spießgeselle.
Allein gegen neun Erwachsene und drei Kinder, die abgerichtet waren.
Wenn mein Vater über die schöne Treppe im Hausflur schritt, umgab
ihn Hass. Man beobachtete ihn, wartete auf Fehler, die ihn verrieten.
Die Treppe im großen Treppenhaus passte nicht zum engen Geist der
Mitbewohner.
Sie eroberten gerade die Welt und merzten dabei aus,
was
nicht zu ihnen passte.
Wie allein mögen die Eltern gewesen sein?
Gemeinsam - gab das nicht ein wenig Halt?
Bloß doppelte Gefahr und Beobachtung.
Man konnte mehr Fehler machen. Der Hass war zweifach stark.
Das ging etwa vier lange Jahre so.
Allein waren sie, jeder für sich und auch gemeinsam.
Die Anderen waren stark. Sie waren getragen vom Glauben an
den End
sieg. Sie machten auch gern Beute. Bei meinen Eltern war
etwas
zu holen. Sie hätten sie gern erledigt. Erlegt wie ein Wild,
das man
verwerten konnte

*

Allein auch die Familie, die über meinen Eltern wohnte, als der
Endsieg ausblieb. Waren so fanatisch, dass sie nicht länger leben
wollten.
Sieg oder Tod.
Ahnten ja nicht, wie gut sie hätten weitermachen können im
Leben nach den tausend Jahren.
Sie konnten es sich nicht vorstellen, nur siegen.
Donald Trump bringt sich nicht um.
Macht einfach weiter. Die Welt ist sein Spielfeld.
Er ist der Quizmaster.
Nur er kennt die Antworten.
Die Peiniger meiner Eltern von oben dachten anders.
Ihr Spielfeld war geschlossen worden.
Sie waren von dort vertrieben. Mussten Rechenschaft ablegen.
Ihre Angst vor den Amerikanern war größer als die vor dem
Tod. Der Führer hatte sie allein gelassen.
Bettete sie nicht mehr in dem Glauben, sie seien das Salz der
Erde. Waren von einem auf den anderen Moment blass, farblos
geworden.
Braun waren nur mehr ihre Gedanken.
Angst und Enttäuschung hatten keine Farbe.
Nicht einmal ein schmutziges Grau.
Wollten nichts mehr sehen und hören.
Nur noch weg.
Weg vom Führer, weg von sich selbst.
Die Kinder mussten auch mit, gerade sie.
In dieser neuen Welt sollten sie nicht leben.
So folgte die Familie dem Führer.
Man trug sie die schöne Treppe im Hausflur herunter,
die
kleine Schar.
Das machte meine Eltern auch nicht glücklich.

*

Später bin ich die Treppe oft gegangen.
Wusste nichts von den Leuten da oben.
Nachts war ich allein.
Träumte, dass über uns Tote waren, in Leder eingepackt,
Mumien irgendwie, nachts um mich, auch noch da, wenn
ich davon erwachte.

*

Allein meine Mutter.
Selten war sie im Luftschutzkeller.
Blieb in der Wohnung.
Vater und die Kinder waren unten.
Oben war sie allein.
Mit sich und dem Schicksal.
Überlebe ich, sterbe ich.
Ihr war es fast egal. Beides barg einen Vorteil.
Weg von Allem.
Sie war wie der Belag in einem Sandwich, der von oben und
unten Druck bekam, um schließlich auf dem Grill zu landen.
„Sterbe ich, überlebe ich“, dachte sie.
Ihr Mann und die Kinder, sie kämen schon durch.
Ohne sie.
Wenn die Flugzeuge kamen, empfand sie die wie böse Engel,
die straften, weil die Welt es nicht anders wollte.
Böse Engel, die genau wussten, was sie taten, nach Plan.
Planquadrat um Planquadrat.
Das Haus wurde nie getroffen. Alle überlebten.
Blieben verbunden in dem Gewölle aus Hass,
Bespitze
lung und Wut.
Sterbe ich, weil ich überlebe?
Sie überlebte.
In der Wohnung aber war sie wundersam allein.

*


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