
Leseprobe von
Roter Granit (Erzählung 2022)
(ISBN 978-3-941072-26-8)
Buchgestaltung und Fotoessay
von Volker Blumenthaler
Bestellung über Kontakt.
mit Rechnung und portofrei
Hörprobe: Herr Zorko
Hörprobe: Bettler
Hörprobe: Frau von Serrantes
Hörprobe: Wohngemeinschaft
Text:
aus Stille
Seit Jahren gewinnt mehr und mehr die Stille.
Geräusch hat kaum eine Chance.
Mein ganzes Leben lang habe ich klassische Musik gehört.
Das mit der Stille begann vor einigen Jahren, ich mochte zu Hause kaum
mehr Musik hören. Verlegte dies in Konzerte. Auch da mochte ich sie kaum
mehr hören. Corona kam mir zur Hilfe.
Nun genieße ich Stille. Natürlich könnte ich jeden Tag Bach hören. Schuberts „Winterreise“, Beethovens Hammerklaviersonate, Stücke von Luigi Nono, von Volker Blumenthaler und so manches mehr.
Doch das Primat der Stille obsiegt.
Mein schlechtes Gewissen darob zwingt mich, hin und wieder diese Stücke zu hören. Danach herrscht wieder Stille.
Wenn in der Küche die Sonne scheint, blauer Himmel ist, Vogel zwitschern, die Welt so tut, als sei sie in bester Ordnung, dann krönt die Stille diese Utopie.
Ich gebe mich der Illusion hin, alles sei gut, wie zu Beginn des Lebens, als das Kind stets in die Frische des neuen Tages eintauchte, als gehöre der ihm.
Jetzt gehört sie zu mir wie das Alter zum Tag, die Melange aus gutem oder schlechtem Schlaf, aus Hoffnung oder Überdruss.
Dann schenkt mir die Stille ein Innehalten. Sie ist die Klammer zwischen Aktivität und Passivität, sie macht mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann.
In der Stille finde ich mich fern von Zeit und Stunde, von Soll und Haben. Bei mir. Der Körper, der froh ist, dass er im Sessel residiert, bei sich, ohne Hektik, ohne „reichsdeutsche Hast“.
Der Stille hingegeben, die nichts von mir fordert, der ich diene, indem ich sie suche, nichts will, als sei ich bei mir zu Gast und wolle dem Gastgeber nicht zur Last fallen.
Jetzt reise ich am liebsten vom Sessel aus.
Reisen heißt nun loslassen. Die Küche in der Sonne ist der Flughafen und mein Hauptbahnhof.
Die Reise im Sessel ist jetzt real. Führt mich in die Welt, die mir gehört. Ich reise durch meine Länder, in der Stille der Küche, des Gartens, im Konzert der Vögel des Morgens und am Abend.
Bin mein Hotelier, mein Gastronom und mein Reiseleiter. Durchquere die Meere, anders als Moses und dennoch wie von Zauberhand.
Reise vom Garten aus nach dem Kontinent, wo die Stille oberstes Gebot ist und jede Zuwiderhandlung bestraft wird.
Reite den Eisbären, warm eingepackt, und gebe meinem Bären Leckerli, als sei der mein Hund. Liege im Beutel des Kängurus, als sei er eine Liegewiese. Falle vom höchsten Berg in einen Pudding. Erreiche endlich das Schlaraffenland nach nur zehn Minuten.
Klingelt das Telefon, wirft mich der Eisbär ab, stürzt mein Känguru und ich falle aus dem sicheren Beutel. Der Puddingberg erweist sich als eine Anzahl von Pflichten, dem Schlaraffenland sind gerade die Lebensmittel aus-gegangen, die ich nun besorgen muss.
Ich muss noch mehr loslassen.
Pläne über lange Zeiträume hinweg.
Zu wissen, dass man Rom vielleicht nicht mehr sehen wird.
Die Gewissheit, wichtige Bücher nicht mehr zu lesen. Werden die fünf
geplanten Mega-Städte auf dem Mars wirklich einmal gebaut werden?
Reisen bald eher in die nähere Umgebung.
Der Radius wird kleiner.
Am Ende ist es ein Zimmer, wo auch immer, ein Bett.
Dann ist die Reise bloß noch dort. Zuletzt nur in eine Richtung.
Im Loslassen liegen Glück und Wehmut zugleich. Kein Hörnerklang eines
Aufbruchs am Morgen, eher der zum Ende einer Treibjagd.
Der Nebel des Herbstes, die dicke Suppe für Jäger und
Treiber, der Blick auf die Strecke erlegten Wildes.
Der Schnaps.
Er besiegelt den Bund der Akteure.
Beschließt einen Vorgang.
Heute also nochmal Schnaps.
*